Die menschliche Fortpflanzung ist im Vergleich zu anderen Spezies ziemlich ineffizient. Einerseits besteht in jedem Zyklus nur eine geringe Wahrscheinlichkeit, überhaupt schwanger zu werden, und andererseits ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass bereits eingenistete Blastozysten wieder verloren gehen (Arck, 2008). Studien zeigen, dass mehr als 50% der Schwangerschaften früh und oftmals unbemerkt enden (Red-Horse et al., 2004). Verständlicherweise möchten schwangere Frauen wissen, ob sie ein erhöhtes Risiko für eine Fehlgeburt aufweisen. In verschiedenen Studien konnten Faktoren ausgemacht werden, die mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für eine Fehlgeburt in der frühen Schwangerschaft verbunden sind.
Arck und ihr Team verfolgten 864 Frauen ab Feststellung der – auf natürlichem Weg eingetretenen – Schwangerschaft bis zum Ende der Frühschwangerschaft und erfassten alle möglichen Faktoren, die einen Einfluss auf das Risiko einer Fehlgeburt haben könnten. Alle Frauen hatten kein offensichtliches Risiko für eine Frühgeburt. Bei allen Frauen wurden Krankengeschichte, Alter, Gewicht, soziales Status, Arbeitssituation, Familie, Bildung, Rauchgewohnheiten, Progesteronlevel und weitere erhoben.
Von den 864 Frauen hatten 809 eine gesunde und erfolgreiche Schwangerschaft, 55 erlitten eine Fehlgeburt. Der Vergleich zwischen den Frauen mit einer erfolgreichen Schwangerschaft und jenen, die eine Fehlgeburt erlitten hatten, ergab die folgenden Unterschiede:
- Alter: Ältere Frauen erlitten häufiger eine Fehlgeburt
- Gewicht: Frauen mit einem niedrigeren BMI (ab 20 oder darunter) erlitten häufiger eine Fehlgeburt
- Hormone: Frauen mit tiefen Progesteronwerten erlitten häufiger eine Fehlgeburt
- Frauen mit chronischen Erkrankungen hatten ein leicht erhöhte Risiko für eine Fehlgeburt
- Frauen mit einem Universitätsabschluss hatten etwas häufiger eine Fehlgeburt (was allerdings mit den Alter zusammen hängen dürfte)
Die Annahme der Autoren, dass sich Stress auf das Risiko einer Fehlgeburt auswirkt, konnte nur teilweise bestätigt werden. Nur bei den Frauen, bei denen die Schwangerschaft sehr früh endete, schien ein höheres Stress-Niveau zu bestehen. Ein gewisser Hinweis, dass Stress mit einem erhöhten Fehlgeburtrisiko zusammen hängen könnte, lieferte die Analyse des Stresshormons CRH. Frauen mit Fehlgeburt hatten einen höheren CRH-Level als Frauen mit einer erfolgreichen Schwangerschaft. Ebenfalls keine Unterschiede im Fehlgeburtrisiko ergaben sich zwischen Alleinstehenden und Frauen mit Partner sowie arbeitstätigen und nicht arbeitstätigen Frauen. Soziale Unterstützung, Lebensqualität und depressive Symptome hatten ebenfalls keinen Zusammenhang zu Fehlgeburten.
In einem Überblicksartikel, in dem zahlreiche Studien zum Thema Risikofaktoren für Fehlgeburten zusammengetragen wurden, wurde der Einfluss weiterer Faktoren untersucht (Garcia-Enguidanos, et al., 2002):
- Koffein: Durchschnittlich 107 mg Koffein sind in einer Tasse Kaffee enthalten. Koffein findet sich aber auch in einer Vielzahl weiterer Nahrungsmittel wie Schokolade, Cola, Kakao oder Tee. Koffein wird im Magen-Darm-Trakt absorbiert und anschliessend im gesamten Organismus verteilt. Die Substanz kann die Blut-Plazenta-Schranke durchqueren. Die Halbwertzeit von Koffein beträgt bei einem Erwachsenen 2.5 bis 4.5 Stunden, d.h. nach dieser Zeit ist die Hälfte des Koffeins abgebaut. Bei Schwangeren liegt die Halbwertzeit von Koffein viel höher, nämlich bei 10.5 Stunden. Neugeborene haben eine Halbwertzeit für Koffein von 32 bis 140 Stunden. Koffein stört die Entwicklung des Foetus und den Hormonhaushalt der Schwangeren und des Foetus. Koffein gleicht zudem den Nukleinsäuren Adenin und Guanin, die in der DNA zu finden sind, und kann so direkt zu Chromosomenfehlern führen. Ein möglicher weiterer schädlicher Mechanismus ist, dass Koffein die Vasokonstriktion, d.h. das Zusammenziehen der Blutgefässe, begünstigen kann und so die Blutzirkulation in Uterus und Plazenta beeinträchtigt. Dieser Effekt wurde für Dosierungen ab 200 mg Koffein nachgewiesen.
- Tabak: Der Zusammenhang zwischen Tabakkonsum und Fehlgeburten wurde in zahlreichen Studien nachgewiesen. Tabak enthält eine Vielzahl an Toxinen, also Giftstoffen, die eine Fehlgeburt begünstigen können, die wichtigste davon ist Nikotin.
- Alkohol: Es wurde vielfach nachgewiesen, dass der Konsum von Alkohol verschiedene negative Effekte auf die Entwicklung des Foetus hat. Trinkt die Frau während der Schwangerschaft Alkohol, kann das Kind an einem fetalen Alkoholsyndrom leiden. Der Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und Fehlgeburten ist hingegen weniger klar. Bei Blutalkoholkonzentrationen über 200 mg/dl konnte ein erhöhtes Fehlgeburtrisiko nachgewiesen werden. Einige weitere Studien zeigten ein erhöhtes Risiko für Fehlgeburten bei einem fortgesetzten Alkoholkonsum, aber kein erhöhtes Risiko bei einem sporadischen Konsum. Wie genau Alkohol den Foetus schädigt, ist nicht ganz klar. Fest steht, dass Alkohol die Plazenta und die Blut-Hirn-Schranke des Foetus durchquert. So hat Alkohol direkt toxische Effekte auf das Hirn des Ungeborenen. Ein Abbauprodukt von Alkohol, Acetaldehyd, ist zudem teratogen, d.h. es schädigt das Ungeborene. Acetaldehyd reichert sich im Foetus an und führt so zu sehr schweren Schäden.
- Drogen: Ein erhöhtes Fehlgeburtrisiko wurde bei Frauen nachgewiesen, die Kokain konsumieren. Für Cannabis wurde kein erhöhtes Fehlgeburtrisiko nachgewiesen, was Schäden am Ungeborenen aber nicht ausschliesst. Die Babys von Heroinkonsumentinnen hatten ein erhöhtes Risiko für Kinder mit tiefem Geburtsgewicht und Totgeburten.
- Frühere spontane Fehlgeburten: Das mathematische Risiko einer erneuten Fehlgeburt, nachdem eine Frau bereits eine Fehlgeburt hatte, liegt bei 2 bis 3%, für eine dritte Fehlgeburt nach zwei Fehlgeburten bei 0.34% und für eine vierte Fehlgeburt nach drei Fehlgeburten bei 0.05%. Tatsächlich liegt dieses Risiko aber deutlich höher nämlich bei 12% (nach einer Fehlgeburt), 29% (nach zwei Fehlgeburten) und 36% (nach drei Fehlgeburten). Somit ist das Risiko einer Fehlgeburt erhöht, wenn die Frau bereits Fehlgeburten in der Vergangenheit erlitten hat.
- Frühere Abtreibungen: Ob das Risiko für eine (spontane) Fehlgeburt nach einer Abtreibung erhöht ist, wird kontrovers diskutiert. Teilweise wurde ein zwei- bis dreifach erhöhte Risiko für Fehlgeburten gefunden, wenn die Frau bereits eine oder zwei Abtreibungen vorgenommen hat. In anderen Studien konnte kein erhöhtes Risiko festgestellt werden.
- Frühere Geburten: Frühere Geburten sind kein Risikofaktor, sondern ein protektiver Faktor für Fehlgeburten. Das bedeutet, dass frühere erfolgreiche Schwangerschaften mit einem tieferen Risiko für Fehlgeburten einhergehen.
- Alter der Mutter: Viele Studien haben den Zusammenhang zwischen einem höheren Alter der Mutter und einer grösseren Wahrscheinlichkeit für Fehlgeburten gezeigt. Ab 35 steigt das Risiko für eine Fehlgeburt deutlich an. Bei Frauen über 40 liegt das Fehlgeburtrisiko mehr als fünfmal höher als bei Frauen zwischen 31 und 35.
- Chromosomenfehler: Bei etwa 40% der Fehlgeburten können Chromosomenfehler festgestellt werden. Gewisse Chromosomenfehler führen zu einer Fehlgeburtrate von fast 100%.
- Malformationen des Uterus: Anatomische Veränderungen des Uterus können dazu führen, dass die Schwangerschaft vorzeitig endet. Etwa 13% der Frauen, die sich nach mehreren Fehlgeburten an einen Arzt wenden, weisen derartige Veränderungen auf.
- Störungen des Menstruationszyklus: Verschiedene Studien konnten nachweisen, dass bei einer Oligomenorrhoe, d.h. einer zu seltene Monatsblutung, ein erhöhtes Fehlgeburtrisiko besteht.
- Störungen des Hormonhaushalts: Da eine Schwangerschaft durch das delikate Zusammenspiel verschiedener Hormone erst möglich wird, ist wenig überraschend, dass Störungen im Hormonhaushalt zu Fehlgeburten führen können. Probleme in der lutealen Phase des Zyklus wurden in etwa 20 bis 60% der Fälle mit Fehlgeburten in Verbindung gebracht. Erhöhte Level von Androgenen im Blut wurden ebenfalls mit Fehlgeburten in Verbindung gebracht.
- Antiphospholipid Antikörper und andere Antikörper: Der Zusammenhang zwischen Antiphospholipid Antikörpern und Fehlgeburten wurde vielfach nachgewiesen. Die Fehlgeburtrate bei unbehandelten Frauen mit diesen Antikörpern liegt bei sehr hohen 91%. In gewissen Studien wurde auch eine erhöhte Fehlgeburtrate bei dem Vorliegen anderer Antikörper gefunden, jedoch besteht diesbezüglich weniger Übereinstimmung.
- Geschlechtsverkehr: Gewisse Studien fanden nach Geschlechtsverkehr in der Frühschwangerschaft Krämpfe des Uterus, die zu einer Fehlgeburt führen können. Die Evidenz ist allerdings unklar.
- Verletzungen der Mutter: Die Annahme, dass Unfälle oder Verletzungen der Mutter zu einer Fehlgeburt führen können, liegt nahe. Die Studien, die zu diesem Thema durchgeführt wurden, konnten allerdings keinen solchen Zusammenhang erkennen.
- Abstand zwischen zwei Schwangerschaften: In einer Studie mit einer religiösen Sekte, bei der keine Verhütungsmittel akzeptiert waren, konnte kein Zusammenhang zwischen der Zeit seit der letzten Schwangerschaft und dem Risiko einer Fehlgeburt festgestellt werden. In einer anderen Studie fanden die Autoren allerdings ein erhöhtes Fehlgeburtrisiko, wenn innerhalb von 6 Monaten nach einer Geburt eine erneute Schwangerschaft eingetreten war.
- Verhütungsmittel: Ein Zusammenhang zwischen oralen Verhütungsmitteln („Pille“) und Fehlgeburten besteht nicht. In einer Studie wurde im Gegenteil ein tieferes Risiko für Fehlgeburten gefunden, wenn die Frau während mindestens 9 Jahren orale Verhütungsmittel verwendet hatte. Auch bei Frauen, die eine Spirale verwendeten, konnte kein erhöhtes Risiko für Fehlgeburten festgestellt werden.
- Infektionen der Mutter: Die einzigen Infektionen, die mit einem systematisch erhöhten Fehlgeburtrisiko einhergehen, sind: Listeriose (hier Ernährungstipps des BAG zur Vermeidung einer Listeriose) , Syphilis (vor allem im 2. Trimester), Parvovirus B19, HIV und Malaria. Bei den restlichen Infektionen kann es zu gelegentlichen Fehlgeburten kommen, insbesondere wenn der Erstkontakt mit dem Erreger in der Schwangerschaft erfolgt, die Plazenta infiziert ist, eine Septikämie (schwere Allgemeininfektion) besteht oder jemand Immunsuppressiva einnimmt.
- Zöliakie: Mehr als 50% der Frauen mit Zöliakie erleiden eine Fehlgeburt.
- Narkosegase: Die Anwendung von Narkosegasen scheint eine Fehlgeburt zu begünstigen.
- Toxine: Frauen, die mit toxischen Stoffen in Kontakt kommen, habe ein erhöhtes Fehlgeburtrisiko. Dieser Zusammenhang wurde für die folgenden Substanzen nachgewiesen: Blei, Ethylenglykol, Karbondisulfid, zytostatische Medikamente, Polyurethan, Schwermetalle, organische Lösungsmittel, petrochemische Produkte und Quecksilber.
Arck, P. (2008). Earyl risk factors for miscarriage: a prospective cohort study in pregnant women. Reproductive BioMedicine Online, 17(1), 101-113.
Garcia-Enguidanos, A., Calle, M. E., Valero, J., Luna, S., & Domingues-Rojas, V. (2001). Risk factors in miscarriage: a review. European Journal of Obstetrics & Gynecology and Reproductive Biology, 102, 111-119.
Red-Horse, K., Zhou, Y., Genbacev, O., et al. (2004). Trophoblast differentiation during embryo implantation and formation of the maternal–fetal interface. Journal of Clinical Investigation, 114, 744–754.